10 + 1 Mythen des Arbeitsrechts

In der Beratungspraxis ist man (bzw. Frau) manchmal überrascht, welche Fehlvorstellungen sich in Bezug auf Einzelfragen des Arbeitsrechts sowohl auf Arbeitgeber-, als auch auf Arbeitnehmerseite hartnäckig halten. Weil die Folgen durchaus weitreichende Konsequenzen haben können, versuchen wir uns heute einmal an einer kleinen Entmystifizierung.

Mythos 1: Bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung.

Einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Abfindung gibt es grundsätzlich nicht. Allein die Kündigung durch den Arbeitgeber begründet insoweit keine zusätzlichen finanziellen Ansprüche. Eine Abfindung kann allenfalls zwischen den Arbeitsvertragsparteien verhandelt werden. Regelmäßig werden Abfindungszahlungen im Rahmen arbeitsgerichtlicher Verfahren thematisiert, allerdings nur dort, wo die Wirksamkeit einer erklärten Kündigung zweifelhaft erscheint. Liegen Gründe zur Rechtfertigung der Kündigung vor und sind die formalen Anforderungen an die Kündigung eingehalten, ist eine Grundlage für eine Abfindungszahlung nicht gegeben.

Mythos 2: Eine Kündigung bedarf stets eines Kündigungsgrundes.

Ob eine Kündigung eines Kündigungsgrundes bedarf, hängt davon ab, ob der besondere Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes greift. Nur in Betrieben mit regelmäßig mehr als 10 (Vollzeit-) Mitarbeitern gilt für (Teilzeit- und Vollzeit-) Arbeitsverhältnisse, die länger als 6 Monate bestehen, das Kündigungsschutzgesetz. Nur für diese Arbeitsverhältnisse gilt eine besondere Rechtfertigungspflicht für Kündigungen, wobei die Kündigungsgründe selbst nicht im Kündigungsschreiben angegeben werden müssen und im Zweifel auch nicht mitgeteilt werden sollen. Bei Arbeitsverhältnissen unterhalb der genannten Schwellwerte, muss der Arbeitgeber lediglich die Schriftform der Kündigung wahren und die Kündigungsfrist für das Arbeitsverhältnis einhalten.

Mythos 3: Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses bedarf der Schriftform.

Auch ohne schriftlich niedergelegte Arbeitsbedingungen kann ein Arbeitsvertrag durch mündliche Übereinkunft über die vertragswesentlichen Bestandteile (Arbeitsleistung gegen Entgelt für weisungsbefugten Arbeitgeber) zustande kommen. Das Nachweisgesetz sieht zwar eine Verpflichtung zur schriftlichen Dokumentation des Vertrages vor, diese ist jedoch nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für den Arbeitsvertrag. Bei (zeitlich) befristeten Arbeitsverträgen ist allerdings die Schriftform erforderlich, um das Arbeitsverhältnis als lediglich befristet begründen zu können. Wird hier die Schriftform nicht eingehalten, besteht ein zeitlich unbefristetes Arbeitsverhältnis.

Mythos 4: Kündigungen können auch mündlich ausgesprochen werden.

Früher durften Mitarbeiter in der Tat mit einem knackigen, „Sie können sich Ihre Papiere abholen“ nach Hause geschickt werden. Aber Zeiten ändern sich, heute ist zur Wirksamkeit der Kündigung die Schriftform zwingend zu wahren. Die Kündigung ist schriftlich zu formulieren, vom Arbeitgeber zu unterschreiben und dem Arbeitnehmer im Original zu übergeben/übersenden. Allein mündlich kann das Arbeitsverhältnis (von beiden Seiten) nicht mehr beendet werden. Dies gilt auch bei einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses, auch diese ist zu Papier zu bringen und von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu unterschreiben.

Mythos 5: Drei Abmahnungen berechtigen den Arbeitgeber zur Kündigung.

Mathematische Formeln für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gibt es nicht. Bei Arbeitsverhältnissen, die der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes nicht unterliegen, bedarf es nicht einmal einer Abmahnung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Mythos 2). Bei allen anderen Arbeitsverhältnissen ist im Einzelfall zu prüfen, ob den Abmahnungen gleichartige Verstöße gegen den Arbeitsvertrag zugrunde liegen, wie lange die Abmahnungen zurückliegen, wie lange das Arbeitsverhältnis ungetrübt besteht, wie schwer die abgemahnten Verstöße wiegen und ob die Abmahnungen formal ordnungsgemäß ausgesprochen wurden. Es ist danach eine bewertende Betrachtung durchzuführen. Manchmal mag zum Ausspruch der Kündigung nur eine weitere Abmahnung genügen, in anderen Fällen vermögen möglicherweise auch eine Vielzahl weiterer Abmahnungen die Kündigung nicht zu rechtfertigen.

Mythos 6: Während einer Erkrankung können Arbeitnehmer nicht gekündigt werden.

Auch wenn der Arzt Ruhe und Schonung verordnet haben sollte, steht dies einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Auch wenn der Arbeitgeber weiß, dass der Arbeitnehmer stationär behandelt wird, darf er dem Arbeitnehmer eine schriftliche Kündigung an seine Heimatadresse senden. Die Kündigung geht – zumindest tagsüber während der regulären Zustellzeiten der Post – mit dem Einwurf in den Briefkasten des Arbeitnehmers zu; einer tatsächlichen Kenntnisnahme der Kündigung durch den Arbeitnehmer bedarf es nicht. Sollte man als Arbeitnehmer länger ortsabwesend sein, so sind also Vorkehrungen zu treffen, die eine regelmäßige Kontrolle und Weitergabe der Posteingänge gewährleisten.

Mythos 7: Während einer Erkrankung darf man die Wohnung nicht verlassen.

Was für die Wiedergenesung erforderlich ist, bestimmt der behandelnde Arzt und nicht der Arbeitgeber. Während der Krankschreibung sind danach alle Tätigkeiten erlaubt, die den Heilbehandlungserfolg nicht verzögern oder gefährden. Auch ein Spaziergang oder ein Treffen mit Freunden sind insoweit nicht ohne Weiteres zu beanstanden. Die zulässige Grenze aushäusiger Tätigkeit ist dann überschritten, wenn während der Krankschreibung tatsächliche (für Dritte) gearbeitet wird, z.B. der krank geschriebene Mitarbeiter auf der Baustelle eines Freundes aushilft. Lässt man sich bei solchen Tätigkeiten erwischen, kann auch die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses drohen.

Mythos 8: Überstunden sind mit Zuschlägen zu vergüten.

Eine gesetzliche Verpflichtung, Überstunden mit einem Zuschlag auf den Grundlohn zu vergüten, besteht nicht. Lediglich bei regelmäßiger Nachtarbeit gibt es insoweit gesetzliche Vorgaben. Sollte also weder im Arbeitsvertrag, noch in einem auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifvertrag eine besondere Vergütungspflicht statuiert sein, so ist auch die geleistete „Überstunde“ nur mit dem regelmäßigen Stundenlohn zu vergüten.

Mythos 9: 450,00 €-Kräfte haben weder Anspruch auf Entgeltfortzahlung, noch auf Urlaub.

Mini-Jobber stehen in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis. Bis auf die reduzierte Arbeitszeit und die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht handelt es sich auch bei diesen Beschäftigungsverhältnissen um ein vollwertiges Arbeitsverhältnis. Dies bedeutet, dass Anspruch auf Urlaub und nach 4wöchigem Bestand des Arbeitsverhältnisses auch Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht. Die oft geübte Praxis, in diesen Fällen keinen Lohn zu zahlen, ist unzulässig.

Mythos 10: Nur wer arbeitet, hat auch Anspruch auf Urlaub.

Die Grundidee mag stimmen, dass nur diejenigen, die arbeiten, Anspruch auf Erholungsphasen haben. Aber auch Arbeitnehmer, die längerfristig erkrankt sind, also ihrer regulären Beschäftigung nicht nachgehen können, haben Anspruch auf Urlaub. Besteht die Arbeitsunfähigkeit über Jahre, können auch über Jahre Urlaubstage von dem erkrankten Mitarbeiter „angespart“ werden. Endet das Arbeitsverhältnis, ohne Möglichkeit diese Urlaubstage in gesunden Zeiten während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu nehmen, sind die nicht verfallen Ansprüche finanziell abzugelten.

Mythos 11: Heiligabend und Silvester sind nur halbe Arbeitstage.

Weder der Heilige Abend, noch Silvester sind nach den gesetzlichen Bestimmungen Feiertage. Damit ist an diesen Tagen grundsätzlich regulär zu arbeiten, auch wenn dies in vielen Betrieben anders gehandhabt wird und die Mitarbeiter allenfalls einen halben Tag zur Arbeit erwartet werden.

Bei weiteren (Detail-)Fragen rund um das Arbeitsrecht helfen wir gerne weiter.

Rechtsanwältin Dr. Benzenberg, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Verkehrsrecht, Bocholt

Arbeitsrecht: personenbedingte Kündigung

Kündigung trotz/wegen Erkrankung des Arbeitnehmers – die sog. personenbedingte Kündigung

Unterfällt ein Arbeitsverhältnis dem Schutz des Kündigungsschutzgesetzes, so bedarf dessen Kündigung nicht nur der Einhaltung der Kündigungsfrist, sondern auch des Vorliegen eines besonderen Kündigungsgrundes. Einen möglichen Rechtfertigungsgrund bildet der Verlust der Fähigkeit des Arbeitnehmers, die arbeitsvertraglich von ihm geschuldete Leistung auch künftig ganz oder zum Teil zu erbringen. Wie es zu einem Verlust der notwendigen Eignung und Fähigkeiten gekommen ist, ist hierbei im Grundsatz unerheblich. Der Arbeitnehmer braucht den Verlust nicht selbst verschuldet zu haben, ausreichend ist so z.B. auch eine Erkrankung, die es dem Arbeitnehmer unmöglich macht, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Kündigung wegen dauerhafter Erkrankung oder häufiger Kurzerkrankungen bildet sogar den Hauptanwendungsfall der sog. personenbedingten Kündigung. Krankheitsbedingte Kündigungen setzen im Einzelnen folgendes voraus:

(1) sog. negative Prognose – im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müssen Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass der Arbeitnehmer auch künftig seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mehr dauerhaft erfüllen kann (stellt sich diese Prognose später als falsch heraus, ist dies für sich genommen unerheblich);

(2) die bisherige und zu erwartende gesundheitliche Entwicklung muss zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen – die Erkrankung des Arbeitnehmers führt wegen der Entgeltzahlungsfortzahlungspflicht zu erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers oder bedingt organisatorische Störungen, die nicht durch eine Umverteilung oder Neueunstellung etc. kompensiert werden können;

(3) die durch die Erkrankung bedingten Beeinträchtigungen müssen auch unter Berücksichtigung des bisherigen Bestands und Verlaufs des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht mehr hinnehmbar erscheinen. Der Arbeitnehmer kann auch nicht zumutbar – unter Berücksichtigung seines „Krankheitsbildes“ – an anderer Stelle im Betrieb eingesetzt werden.

Die Hürden zur wirksamen Begründung einer personenbedingten Kündigung sind durchaus beachtlich, so dass man als Arbeitnehmer nicht bei jedem Schnupfen, um seinen Arbeitsplatz fürchten muss; Arbeitgeber können dagegen nicht ohne ausreichende Vorbereitungen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklären.

Bei der personenbedingten Kündigung spielt offensichtlich in zunehmenden Maße das sog. betriebliche Wiedereingliederungsmanagement eine wichtige Rolle. Ist ein Arbeitnehmer mehr als 6 Wochen im Jahr erkrankt, muss der Arbeitgeber zwingend klären, durch welche Maßnahmen (Hilfsmittel, Umorganisation etc.) der Krankenstand des Arbeitnehmers überwunden werden kann. Unterlässt der Arbeitgeber diese Hilfestellungen, kann eine gleichwohl ausgesprochene Kündigung bei Erkrankung unwirksam sein.

So hat das LAG Berlin (Az. 28 Ca 9065/15) am 16.10.2015 die Kündigung eines seit einem Jahr an Krebs erkrankten Mitarbeiters für unwirksam erklärt. Das Gericht hielt nochmals fest, dass der Arbeitgeber im Fall einer länger als 6 Wochen andauernden Erkrankung ein betriebliches Eingliederungsmanagements (BEM) mit dem Ziel der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers durchzuführen hat. Der Arbeitgeber müsse hierbei prüfen, ob und ggf. in welcher Weise der Arbeitnehmer (wieder) beschäftigt werden kann. Im Rahmen der Prüfung habe der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer das Gespräch zu führen. Zu untersuchen seien mit Blick auf gegebene Einschränkungen des Arbeitnehmers eine Änderung oder Umgestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, um weitere Ausfälle des Arbeitnehmers zu vermeiden.

Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber überhaupt kein BEM durchgeführt. Er habe sich nach Auffassung des Gerichts damit nicht hinreichend mit der Frage der leidensgerechten Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes und einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers an anderer Stelle im Betrieb auseinandergesetzt. Die erklärte Kündigung (als letztes Mittel) sei deshalb unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam.

Behalten Sie daher (Ihre) Krankentage im Blick.

Rechtsanwältin Dr. Benzenberg, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Verkehrsrecht, Bocholt